Implantat: Künstlicher Ersatz eines Organs

Implantat: Künstlicher Ersatz eines Organs
Implantat: Künstlicher Ersatz eines Organs
 
Neben der Herz-Lungen-Maschine und der künstlichen Niere, die nur vorübergehend die Aufgaben natürlicher Organe übernehmen, hat die Medizintechnik auch Langzeit-Ersatzteile für die verschiedensten menschlichen Organe entwickelt — oft für den lebenslangen Gebrauch. Die allgemeine Bezeichnung für Materialien, die für eine begrenzte Zeit oder auf Dauer operativ im Körperinnern eingesetzt werden, ist Implantat (von lateinisch implantatus: eingepflanzt). Implantate übernehmen dabei die unterschiedlichsten Aufgaben: Sie ersetzen Teile von Organen, zum Beispiel künstliche Herzklappen, oder ganze Organe, etwa künstliche Gelenke. Implantate, die komplette Organe ersetzen, werden oft auch Prothesen genannt (von griechisch protithenai: an eine Stelle setzen). Implantate unterstützen die Heilprozesse bei Knochenbrüchen und dienen in der plastischen Chirurgie zur Raumausfüllung (Brustimplantate) und zur Defektdeckung (künstliche Schädelplatten).
 
Einfache Prothesen sind bereits seit Jahrhunderten bekannt, man denke nur an den klassischen Piraten mit Holzbein, Haken am Armstumpf und Augenklappe. Jedoch war es ein weiter Weg von diesen einfachen Ersatzstücken zu den heutigen elektronisch von Nervenendungen gesteuerten, in mehreren Gelenken frei beweglichen Gliedmaßenprothesen oder individuell angepassten neuen Schädelplatten.
 
 Welches Material wird wo implantiert?
 
Alle implantierten Materialien müssen biokompatibel, das heißt gewebeverträglich sein; sie dürfen auf keinen Fall irgendwelche Entzündungs- oder Abstoßungsreaktionen hervorrufen. Materialien, die mit Blut in Kontakt kommen, dürfen dieses außerdem nicht zum Gerinnen bringen. Im Folgenden seien die wichtigsten dieser Stoffe mit ihren häufigsten Einsatzmöglichkeiten vorgestellt.
 
Polyethen (PE), auch Polyethylen genannt, wird hauptsächlich in Form des Ultra-High-Molecular-Weight-PE (UHMWPE) für reibungsbelastete Prothesen eingesetzt. Das Material ist für einen Kunststoff ungewöhnlich schlagfest und beständig gegenüber Reibungsbelastungen. Seit 1962 wird es für Knie- und Handgelenkprothesen und speziell für künstliche Hüftgelenkpfannen verwendet.
 
Polymethylmethacrylat (PMMA) ist glasklar und sehr hart. Es wird für künstliche Augenlinsen, als Zahnersatz und als Knochenzement verwendet. Die beiden letzteren Anwendungen sind nicht unkritisch, da hier das Monomer Methylmethacrylat im Körper polymerisiert und dabei Wärme abgibt, die Schädigungen im Körper hervorrufen kann. Zudem ist das Monomer ein starkes Zellgift und führt zum Absterben von Gewebe, Nekrosen.
 
Polytetrafluorethen (PTFE) ist chemisch und thermisch extrem stabil, weshalb es im Haushalt unter dem Namen Teflon als Antihaftbeschichtung benutzt wird. Es besitzt eine sehr gute Blutverträglichkeit, die es als Material für den Einsatz mit Blutkontakt prädestiniert. Hauptsächlich wird es als Gefäßersatz verwendet, daneben aber auch bei der Dialyse und zur Verstärkung von arteriellen Bypässen am Herzen.
 
Die Polyurethane (PU) bilden eine große Gruppe ganz unterschiedlicher Kunststoffe. In der Technik werden sie fast nur zu Schäumen verarbeitet, während die Medizintechnik vor allem die elastischen Polyurethane (PUR) verwendet. Die genaue Zusammensetzung der in der Medizintechnik verwendeten Medical-Grade- Polyurethane ist meist ein Firmengeheimnis. Sie sind im Allgemeinen durchsichtig bis durchscheinend, flexibel, reißfest und glatt. Polyurethane sind sehr gut blutverträglich und elastischer als das eher spröde PTFE und werden daher überall dort eingesetzt, wo zum Blutkontakt noch eine hohe mechanische Beanspruchung hinzukommt: bei Herzklappenprothesen, bei der Ummantelung der Herzschrittmacherelektroden und beim Kunstherz. Im Gegensatz zu anderen Organen, die nur außerhalb des Körpers von Maschinen ersetzt werden können (künstliche Niere, künstliche Lunge), ist es 1969 erstmals gelungen ein implantierbares künstliches Herz herzustellen. Die weltweit häufigste Konstruktion des Kunstherzens besteht aus zwei Pumpen aus Polyurethan, die pneumatisch, also mit Druckluft, angetrieben werden. Die Antriebseinheit hat die Größe eines Koffers, sodass der Patient begrenzt mobil ist.
 
Die Hauptkomplikationen beim Langzeiteinsatz sind die Infektionsgefahr bei der Hautdurchleitung der relativ dicken Pneumatikschläuche und die mangelnde mechanische Stabilität der Blutpumpen. Das menschliche Herz schlägt immerhin ungefähr 50 Millionen Mal pro Jahr. Der bewegliche Kunststoffteil des Kunstherzens wird daher extrem beansprucht und weist häufig nach einigen Monaten erste feine Risse auf, an denen sich Gerinnsel bilden, die dann zu einer Embolie führen können. Kunstherzen dienen meist der vorübergehenden Versorgung des Patienten, bis ein passendes Spenderherz für eine Transplantation gefunden wurde.
 
Ganz anderen Anforderungen als die beschriebenen Langzeitkunststoffimplantate müssen die bioabbaubaren Kunststoffe genügen: Sie werden im Organismus nach einiger Zeit zu körpereigenen Stoffen abgebaut, lösen sich also auf. Zu diesen Materialien gehören beispielsweise das Polymer der Milchsäure — das Polylactid (PLA) — und das Polymer der Glycolsäure — das Polyglycolid (PGA). Die Abbauzeit variiert je nach Polymer und Implantationsort zwischen zwei und sechsunddreißig Monaten. Bioabbaubare Kunststoffe werden schon seit langem als chirurgisches Nahtmaterial verwendet. Seit Ende der 1980er-Jahre kommen auch Knochendübel, -stifte und -schrauben aus diesem Material bei gering belasteten Knochenbrüchen zum Einsatz. Die bei Metallimplantaten notwendige Zweitoperation zum Entfernen der Schrauben entfällt hierbei.
 
Metalle werden hauptsächlich für Implantate verwendet, die Knochen stabilisieren oder ersetzen. Nach Knochenbrüchen kommen Nägel, Federnägel, Platten und Schrauben aus Edelstahl zum Einsatz, die den Bruch bis zum Verheilen stabilisieren. Danach müssen sie allerdings in einer zweiten Operation wieder entfernt werden. Künstliche Hüftgelenke bleiben hingegen dauerhaft im Körper.
 
Schädeldefekte nach Operationen oder Unfällen werden seit Mitte der 1990er-Jahre durch Implantate aus dem leichten und sehr korrosionsbeständigen Metall Titan rekonstruiert. Die künstliche Schädelkalotte wird mit Methoden der computerunterstützten Fertigung, CAD/CAM-Methoden (für englisch: computer-aided design/computer-aided manufacturing), hergestellt. Die fertige Kalotte wird mit drei bis sechs Mikroschrauben aus Titan am Schädelknochen verschraubt.
 
Silicone schließlich finden vor allem in der plastischen Chirurgie ihren Einsatz. Nach Brustentfernungen oder aus ästhetischen Gründen werden Siliconprothesen zur Brustwiederherstellung oder Brustvergrößerung verwendet. Sie bestehen aus einem gelartigen Kern und mehreren Hüllen. Eine häufige Komplikation hierbei ist die Kapselfibrose, bei der sich eine harte Kapsel aus Bindegewebe um das Implantat herum ausbildet und dieses verformt. Frei werdende Siliconpartikel werden als Ursache vermutet.
 
Dr. Harald Münch, Heidelberg und Dipl.-Phys. Renate Jerei, Heidelberg

Universal-Lexikon. 2012.

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